107 Nackt und geil

Es war wieder einer jener routinierten Nachmittage. Die Hausaufgaben hatte man gemeinsam schnell erledigt und nun saß man herum — hing ab — Emil und Jannik und die vier Mädels, die brave Jule, die keusche Christina, die stille Anni und natürlich Michaela, im Haus derer Eltern man sich wie üblich versammelt hatte — wegen des großzügigen Platzangebotes.

Die sechs waren wirklich gute Freunde, wirklich gut. Zuletzt hatte Michaela im vergangenen Monat ihren Geburtstag zur Volljährigkeit gefeiert und alle sahen das Abitur auch sich zukommen.

Die Stille war lang und schwer. Ein bisschen Robbie Williams plätscherte aus kleinen Lautsprechern, jeder hing seinen Gedanken nach und die Sonne heizte das Zimmer durch diverse Dachfenster ganz gut auf. Der Sommer war warm und alle trugen nur legere Sommerkleider und die Mädchen waren barfuß.

Plötzlich, ohne jede Vorankündigung, ohne Vorwarnung sagte Juli: »Ich würde gerne mal ganz nackt tanzen. Wisst ihr, wo man nackt tanzen kann? Ich meine, ohne gleich verhaftet zu werden…«

Die Stille herrschte noch einen Moment fort, doch nun aus einem anderen Grund. Alle waren baff, die keusche Christina sogar pikiert. Über die Gesichter der Jungs huschte ein amüsiertes Lächeln.

»Wie kommst du denn darauf, dass das toll ist…« warf Anni skeptisch ein »_nackt_.« sie sagte es, als wäre es ein Schimpfwort. Nur Michaela lächelte Juli offen an.

Und ehe die anderen den Mund wieder zu bekamen, antwortete Michaela sogar. »Ich hab schon mal in einer Disco ganz nackt getanzt. Das war ziemlich schön. Irgendwie anders, aber schön.« Michaela nickte dabei, weil sie die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage in ihrer Erinnerung noch einmal bestätigt fand.

»Du warst… ich meine _nackt_?« wollte Anni nun wissen und wusste immer noch nicht, ob sie bei dem Wort den Mund verziehen, oder es einfach so aussprechen sollte.

»Mit wem warst du da Michi?« wollte Jannik wissen, weil sich eine leichte Eifersucht in ihm regte, die Michaela jedes mal ein wohliges Gefühl in der Bauchgegend bescherte.

»Mit meiner Mum« antwortete Michaela sofort, weil sie Jannik nicht quälen wollte.

Wieder breitete sich Schweigen aus, doch Michaela lächelte. »Es ist gar nicht so seltsam, wie Ihr denkt. Es war wirklich schön. Man fühlt den Körper viel besser.«

»Aber beim Tanzen berührt man sich doch ständig…« warf Anni ein und verzog schon wieder das Gesicht bei der Vorstellung.

»Ja, das ist nackt natürlich ganz anders.« gab Michaela zu bedenken. »Man spürt die anderen nackten Menschen um sich herum ganz direkt, man berührt sich beim Tanzen, mit den Händen, oder man stößt aneinander — nackte Haut auf nackter Haut. Es sind ganz tolle Gefühle, von so vielen nackten Menschen umgeben zu sein.«

Julis Augen leuchteten. Sie hatte jemanden, der sie verstand. Anni kuckte kritisch in die Runde. Christinas Mund stand noch immer offen vor Staunen.

»Wir können es ja einfach ausprobieren.« schlug Michaela vor und setzte sich damit progressiv gefühlt meilenweit von den Anderen ab. Nur Juli war noch bei ihr und rief »Ja, au ja!«

»Und wo?« wollte Anni mit vorgeschobener Selbstsicherheit trotzig wissen.

»Na, hier natürlich.« sagte Michaela und erhob sich aus dem Schneidersitz, um erste Vorkehrungen zu treffen.

»A… aber, das geht doch nicht, seit ihr verrückt?« rang Christina nach Fassung, während Anni nur noch zwischen den Parteien hin und her blickte und sich offensichtlich auch ihrer eigenen Gefühle nicht mehr sicher war.

»Ja, wir gehen dann mal…« erhob sich Emil plötzlich mit natürlich nur gespielter Gelassenheit.

»Wollt ihr nicht zuschauen« fragte Michaela ehrlich enttäuscht.

»Oder mitmachen« ergänzte Jule.

»Öm, naja, lass mal…« stammelte Emil.

»Oh, Feiglinge.« grinste Juli, als auch Jannik sich anschicke, sich gleich hinter Emil her wortlos aus dem Staub zu machen.

»Nein, das ist es nicht…« begann Jannik mit der Verteidigung und dem wenig aussichtsreichen Versuch, spontan eine Legende zu formen. »Wir müssen noch…« er sah Emil hilfesuchend an der im rechten Moment den Satz vollenden vermochte »… für Mathe lernen.« »… genau, Mathe« bestätigte Jannik.

»Ihr seid nur feige, das ist alles« grinste Juli nun immer breiter.

»Nein, sind wir nicht, klar!« entgegnete Jannik, halbherzig seinen ansich coolen Ruf verteidigend.

»Seid ihr doch.« goss Michaela Öl ins Feuer.

Es entstand plötzliche Stille, in der die Jungs ertappt und peinlich berührt schwiegen. Und plötzlich platzte Juli mitten in die Stille hinein mit entwaffnender Offenheit »Ihr könnt nicht gehen. Ich will doch vor euch nackt sein und tanzen.«

Die Jungs sahen sich an und gewannen etwas von ihrer Souveränität zurück. Plötzlich waren sie wieder im Sattel.

»Ihr könnt auch angezogen bleiben, wenn ihr Feiglinge sein wollt.« schupste Michaela und zog sich in diesem Moment, wie um ihre Überlegenheit zu demonstrieren, ihr Top über den Kopf, sodass ihr nackter Oberkörper und ihre kleinen Brüste sichtbar wurden. Ansich trug sie nun bereits nur noch ihr Bikinihöschen am Leib.

»Michi!« rief Christina schockiert aus.

»Ooch Chrissi. Noch nie am Strand gewesen?« wiegelte Michaela bewusst mit einem Gemeinplatz ab. noch viel mehr!« rief sie ungestüm. »Komm hilf mir, mich auszuziehen!«