In dem kleinen Zelt saß eine Frau. Sie war jünger, als ich dachte und begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln. Sie also konnte mir die Zukunft vorhersagen. Man munkelte, sie wäre definitiv keine Schwindlerin, sie hätte die Gabe. Ich war skeptisch, ich war schon bei Anderen gewesen und ausnahmslos all die Vorhersagen waren so allgemein, wie ein Horoskop und bewahrheiteten sich ebenso statistisch.
Ihr dagegen eilte der Ruf voraus, sie sollte es anders machen. Ihre Vorhersagen waren nicht allgemein und sie trafen ein, ganz ohne eigenes Zutun des Betreffenden, wohlgemerkt. Sie hätte eine besondere Methode, sich in das Schicksal und das Leben, in das sie hineinblickte einzufühlen, wie in ein Buch. Mehr über ihre Methode wollte man mir aber nicht erzählen, ich solle selbst sehen. Ich war gespannt.
Die junge Frau, die mich begrüßte war ausnehmend hübsch, hatte dunkles, beinahe schwarzes wallendes Haar, in dem ein Schimmer von Henna glitzerte. Sie saß aufrecht, erwartungsvoll, auf einem kleinen Hocker, vor sich ein winziger runder Tisch.
»Komm herein. Setz Dich.« begrüßte sie mich, als der Vorhang des Zeltes hinter mir fiel. Neben ihr und dem Tisch stand ein weiterer Hocker, sehr niedrig, gerade, dass man nicht auf dem Boden saß. Ich lies mich nieder.
Ich wollte einleitende Worte finden, doch sie legte mir nur schmunzelnd den Finger auf die Lippen und hauchte ein »Sssch« um mich, ich weiß nicht, ob aus Bewunderung für ihre engelsgleiche Anmut oder aus Respekt vor ihrer natürlichen Autorität, wie für immer verstummen zu lassen.
Zärtlicher als ich es erwartet hätte, fuhr sie mir ihrem Zeigefinger von meinen Lippen über mein Kinn herab zu meiner Hand und bemächtigte sich ihr. Ich nahm an, sie würde mir nun aus der Hand lesen und fragte mich gleichzeitig skeptisch, was daran so anders sein sollte, als was auch andere, zugegebenermaßen ältere und weniger ansehnliche Hellseherinnen so trieben.
Wie zur Strafe für meine Ungläubigkeit folgte die Antwort auf dem Fuße. Sie drehte nicht etwa die Handfläche meiner Hand, um sich die Linien zu betrachten, sondern führte meine Hand, wobei sie mich noch immer freundlich anlächelte und mir mit ihren Haselnussbraunen Augen in meine blickte, hinein unter den seidenen Überwurf, den sie trug. Bis zu diesem Moment war mir ihre Kleidung in dem etwas schummrigen Zelt nicht aufgefallen.
Das nahm auch kaum Wunder: Sie trug ein weitärmeliges, dünnes, dunkles Etwas, so dunkel und geheimnisvoll, wie die Farbe ihres Haares, ein Etwas, das locker auf ihren Schultern lag und von dort formlos wie ein langes Kleid bis zum Boden fiel wo es sanft fliesend wie Seide ihre Füße bedeckte, sodass nur ihre Zehen, rotlackiert und schuhlos, hervorspitzten. Das Kleid war auf der gesamten Vorderseite geknöpft doch keiner der Knöpfe schien geschlossen. Es gab trotzdem den Blick nicht frei, auf den sicherlich jungen und straffen Körper, der sich darunter verbarg.
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